Zunächst muss betont werden, dass das deutsche System der Weiterbildung sich
aufgrund seiner Komplexität einer einfachen Bewertung entzieht. Eindeutige Befunde
und simple Lösungsansätze, wie man sie manchmal in Berichten internationaler
Organisationen findet, erweisen sich bei genauer Betrachtung häufig als zweifelhaft,
da Belege für die Nutzung und die Wirkung bestimmter Programme nur lückenhaft
vorhanden sind oder gänzlich fehlen. Dies zeigt eine grundlegende Schwäche, die
sich auf die Dimension „Qualitätssicherung“ bezieht. Das deutsche System ist, wie
viele andere, zu wenig erforscht, vor allem durch belastbare Evaluationsstudien, und
selbst in der Praxis fällt es den Akteuren schwer, konkrete Teilaspekte einzuordnen.
Dennoch lassen sich aus der einschlägigen Literatur, den vorhandenen Daten und
den für diese Studie geführten Interviews einige konsistente Befunde extrahieren.
Stärken des deutschen Weiterbildungssystems
Die Bestandsaufnahme des deutschen Systems der Weiterbildung hat mehrere
Stärken aufgezeigt, die als Grundlage für eine zukünftige Strategie dienen können.
Es besteht ein gut funktionierender Bereich beruflicher Ausbildung und betrieblicher
Weiterbildung, besonders dort, wo Personalentwicklung im direkten betrieblichen
Interesse liegt und auf einer soliden qualifikatorischen Grundlage aufbaut. Bezogen
auf den analytischen Rahmen schneidet Deutschland mit der starken betrieblichen
Ebene gut ab, besonders in der Erkennung vorhandener Qualifikationen und
Bedarfe. Zudem verfügt Deutschland über ein gut etabliertes und umfassendes
System zur Förderung individueller (Aufstiegs-)Weiterbildung.
Herausforderungen und Schwachstellen
Trotz der Stärken zeigt das deutsche Weiterbildungssystem auch Schwächen.
Insbesondere Menschen in bestehenden Beschäftigungsverhältnissen, die sich ohne
konkreten betrieblichen Anlass weiterbilden möchten, haben oft Schwierigkeiten, die
nötige Zeit oder finanzielle Mittel aufzubringen. Die bestehenden Förderinstrumente
wie BAföG und Aufstiegs-BAföG sind oft zu rigide und stark auf berufliche Aufstiege
ausgerichtet. Zudem ist das System aufgrund seiner Komplexität und Intransparenz
schwer durchschaubar, was die flexible Gestaltung individueller
Qualifizierungsvorhaben behindert.
Deutschland hat mit dem grundsätzlichen Problem einer übergroßen Komplexität im
Weiterbildungssystem zu kämpfen. Abseits der bekannten BAföG-Optionen ergibt
sich ein schwer durchschaubares Bild von Teillösungen, Programmen und
verschränkten Zuständigkeiten. Diese Komplexität wird als zentrale Hürde für die
Etablierung einer Weiterbildungskultur betrachtet. Unvollständige Integration von
Teilqualifikationen und mangelnde Formalisierung und Anerkennung schränken die
flexible Gestaltung individueller Qualifizierungen ein und mindern die Anreize, solche
Qualifikationen zu erwerben.
Die Achillesferse des deutschen Systems ist die Vernachlässigung der
Geringqualifizierten und Randbelegschaften. Hier mangelt es an Investitionen in
Humankapital, was zu atypischer, gering entlohnter und instabiler Beschäftigung
führen kann. Individuelle Faktoren und Lücken im Angebot, wie negative
Bildungserfahrungen, Zeit- und Geldmangel sowie fehlende Weiterbildungsangebote,
sind Hauptgründe hierfür. Die flexible Anerkennung praktischer Kompetenzen und
individualisierte Bildungspfade könnten Anreize zur Weiterbildungsbeteiligung
erhöhen.
Notwendigkeit der Verbesserung
Für die Zukunft müssen in Deutschland besonders dringende Verbesserungen in der
Organisation von Zugang und Beratung, in der Individualisierung von
Weiterbildungsmöglichkeiten und in der finanziellen Förderung
betriebsunspezifischer Weiterbildung während bestehender
Beschäftigungsverhältnisse erfolgen. Diese Bereiche sind entscheidend, um die
Weiterbildungskultur zu stärken und den Herausforderungen des modernen
Arbeitsmarktes gerecht zu werden.
Im internationalen Vergleich
Das deutsche Weiterbildungssystem weist drei wesentliche Mängel auf:
Zeitmangel (einschließlich unzureichender Lohnersatzleistungen),
mangelnde Individualisierung bzw. Flexibilität und
fehlende niederschwellige Zugänge.
Um diese Schwächen zu adressieren, kann ein Blick ins Ausland nützlich sein.
Internationale Vergleiche können dazu beitragen, festgefahrene Strukturen im
deutschen System aufzubrechen und alternative Ansätze aufzuzeigen. Es ist jedoch
wichtig zu erkennen, dass es keine universell überlegenen und direkt übertragbaren
Lösungen gibt. Positive Beispiele müssen im Kontext der deutschen
Systemkomplexität bewertet werden, da jedes Land seine eigenen Stärken und
Schwächen aufweist.
Für einen informativen Vergleich wurden Länder ausgewählt, die einerseits eine
bessere Performanz als Deutschland aufweisen und andererseits strukturelle
Ähnlichkeiten aufzeigen. Besonders geeignet erscheinen kontinental- und
nordeuropäische Länder, die eine starke Kooperation von Staat und Sozialpartnern
haben. Laut OECD-Bericht (2021) sind Länder wie Frankreich, die Niederlande,
Österreich, die Schweiz, Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen besonders
lehrreich für Deutschland. Länder mit liberalen Arbeitsmärkten, wie Großbritannien
oder Irland, sowie Portugal mit seinem Modell der Kompetenzvalidierung, stehen
weniger im Fokus, könnten jedoch in spezifischen Bereichen wie Beratung und
Orientierung von Interesse sein.
Ein Blick auf die Teilnahmequoten zeigt, dass skandinavische Länder eine besonders
hohe und gleichmäßige Weiterbildungsbeteiligung aufweisen. Deutschland schneidet
hierbei vergleichsweise schlecht ab. Insbesondere Dänemark und Finnland stechen
durch hohe Teilnahmezeiten hervor. Auch Österreich zeigt trotz ähnlicher
Systemstruktur bessere Ergebnisse als Deutschland. Dies deutet darauf hin, dass
geeignete Rahmenbedingungen vorliegen, um intensive Weiterbildung zu
ermöglichen.
Dänemark, das durch seine außergewöhnlich gute Performanz hervorsticht, kann
besonders im Bereich der Beratung und Validierung bestehender Kompetenzen als
Vorbild dienen. Die hohe Teilnahmequote in Dänemark ist unter anderem auf eine gut
ausgebaute Beratungsinfrastruktur zurückzuführen. Ein hoher Anteil der Bevölkerung
gibt an, kostenlose Informationen zu Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten zu haben.
Dies deutet auf eine effektive Beratungsstruktur hin, die durch persönliche Kontakte
und eine gut ausgebaute Online-Infrastruktur unterstützt wird.
Dänemark legt großen Wert auf die Validierung bestehender Kompetenzen im
Rahmen individualisierter Bildungspläne. Die OECD empfiehlt Deutschland explizit,
sich an Dänemark zu orientieren. Die Wahrscheinlichkeit, in Dänemark eine
Kompetenzbewertung durch Tests oder Interviews zu erhalten, ist sehr hoch. Dieses
System könnte für Deutschland besonders relevant sein, um eine höhere Flexibilität
und Individualisierung in der Weiterbildung zu erreichen.
Österreich bietet im Vergleich zu Deutschland eine gute Praxis im Bereich der
Freistellung für Weiterbildungsaktivitäten. Die Nähe der beiden Ausbildungssysteme
macht die Übertragbarkeit von österreichischen Modellen besonders attraktiv.
Österreich könnte dabei helfen, Lösungen für den Zeitmangel im deutschen System
zu finden, indem es Ansätze für eine bessere zeitliche Ressourcenverwaltung
aufzeigt.
Quelle: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Reform der beruflichen Weiterbildung in
Deutschland. Impulse aus dem Ausland. Gütersloh: ohne Verlag.